Kerstin Krone Bayer

klärt sich das wasser

werden die steine sichtbar

Rauminstallationen

Fotos: Mathias Braun

Aussellungstext der Künstlerin

 

k l ä r t   s i c h   d a s   W a s s e r   w e r d e n  d i e  S t e i n e  s i c h t b a r

 

Die Idee, die Einführung zu übernehmen, entstand während der Vorgespräche im Atelier, die Ralf Becker und ich führten, und verfestigte sich für mich während Planung und Aufbau der Ausstellung. Erwähnen möchte ich auch, dass unser beiderseitiges Interesse für die bildenden Künste im traditionellen China und Japan, der sogenannten ZEN-Malerei und -Zeichnung sowie der farbintensiven Holzschnitte, eine Rolle spielte: Denn während ich an der Zeichnung P a n o r a m a für diese Ausstellung arbeitete, schenkte mir Ralf ein Buch mit Abbildungen zahlreicher Farbholzschnitte des japanischen Künstlers Hiroshige. Die Art und Weise wie Hiroshige mit Farbe arbeitete, zart und reduziert, dennoch kraftvoll und intensiv, weckte mein Interesse und blieb nicht ohne Einfluss: ich setzte in dieser Zeichnung farbige Tusche ein.

 

Das Faszinierende, was sich für mich in dieser traditionellen Kunst verbirgt, ist die Ausgewogenheit der Polarisierung von Abstraktem und Konkretem, von formaler Strenge und spontanem Duktus des Pinsels und der Feder, von urwüchsiger Kraft und kontemplativer Stille. In meinen Arbeiten suche auch ich immer wieder eine Ausgewogenheit von Gegensätzen zu finden. Es ist die Suche, innerhalb einer Arbeit in der Spannung zwischen polarisierten Kräften eine Balance zu finden.

 

Die im großen Raum gezeigte Installation P a n o r a m a, eine siebenteilige Tuschezeichnung, gehört zu meiner Werkgruppe M y r i a d e n , an der ich seit 2014 immer wieder arbeite.

 

Ganz auf das Zeichnen mit Feder und Tusche konzentriert, füge ich Ellipse an Ellipse oder anders ausgedrückt, Stein an Stein an Stein. Aus dem rhythmischen Wechsel des Strichs der Zeichenfeder und der Fläche des Pinsels reihte sich ein Berg an den anderen, passte sich mit Größe, Form, Struktur, Tonwert und Farbigkeit dem vorangegangenen an, fast so, als würde das Motiv sein eigenes Bild schaffen.

 

Im Prozess des Zeichnens änderte ich die begonnene, unserer Leserichtung entsprechende Arbeitsrichtung von links nach rechts, sie schrieb sich von rechts nach links fort. Der Beginn der Arbeit liegt dadurch in der Mitte des Panoramas. Sie markiert den optimalen Standort, um die Zeichnung als Ganzes zu erfassen, aber auch um festzustellen, dass sie sich imaginär im außerbildlichen Bereich fortsetzt.

 

In dieser Arbeit beschäftigten mich die polarisierenden Kräfte von Fragilität und Stabilität und von Innen und Außen. Aus der Distanz betrachtet stellt sich die Zeichnung als Panoramabild einer massiven Bergkette dar, Symbol für Dauer und Beständigkeit. Aus der Nähe betrachtet, stellt sie sich neu und anders dar, Stabilität und Unverrückbarkeit schwinden. Steinerne  Erdplatten scheinen sich zu verschieben, Massen von Ellipsen unterschiedlichster Form und  Beschaffenheit ins Rutschen zu geraten. Weniges erscheint nun mehr fest und konstant, schwindet ins kleinteilig Abstrakte. Aus dieser Perspektive wird das verborgene Innere der Berge sichtbar, so, als wären Bewegungen vom Inneren unseres Planten nach außen gekehrt.

 

Bevor ich auf die 2. Rauminstallation eingehe, möchte ich kurz einige Sätze zum Titel sagen.

 

k l ä r t   s i c h   d a s   W a s s e r  w e r d e n  d i e  S t e i n e  s i c h t b a r.  Ich wählte dieses Haiku, da die 2 Gedichtzeilen auf wunderbare Weise benennen, was ich gerade an der Zeichnung zu beschreiben versuchte:

 

k l ä r t   s i c h   d a s   W a s s e r  steht für mich als Metapher für Veränderung und Wandlung, auch für Erkenntnis durch Hinschauen und Begreifen. Vorher Verborgenes, eben durch trübes Wasser oder aufgrund einer räumlichen Distanz, wird nun sichtbar. Es sind die Steine, die sichtbar werden. Steine auf dem Grund des Gewässers, Steine, aus denen ich den Gebirgszug gezeichnet habe.

 

Die Installation B o r s t e n k u g e l n oder b r i s t l e  s p h e r e s  im gläsernen Ausstellungsraum thematisiert die Balance zwischen Ruhe und Spannung und zwischen Stillstand und Veränderung. Sie ist ebenfalls eine Arbeit meiner Werkgruppe M y r i a d e n.

 

Zarte, flexible Naturborsten verhakten sich durch Roll- und Drehbewegungen aus einer unzählig großen Menge einzelner Borsten zu einer gewebeartigen Struktur. Durch die Wiederholung meiner rhythmischen Bewegungen wurde das Gewebe zu einem Netz, das sich in Form einer Hülle immer wieder übereinander legte und sich so zu einer stetig größer werdenden Kugel formte.

 

In kontemplativer Ruhe liegen die drei Objekte auf der mattsilbrigen Bodenplatte und bilden eine Triade, eine Gruppe aus drei Einheiten. Aufgrund ihrer unterschiedlichen individuellen Größe und Farbigkeit treten sie in eine strukturelle Beziehung, die Spannung erzeugt, untereinander und zum Raum.

 

Die drei Kugeln verweisen jede für sich aufgrund ihrer Leichtigkeit, Zartheit und haarigen Gestalt auf eine poröse und zugleich kompakte Beschaffenheit. So liegen sie da, ruhig in ihrer Position. Der Stillstand ist jedoch nur ein Moment. Vereinzelt auf der Bodenfläche liegende Borsten zeigen, dass sich die drei Kugeln, wie es Kugeln eigen ist, auf der Platte bewegt und Bewegungsspuren hinterlassen haben. Die Positionierung der Objekte verliert dadurch ihre scheinbare Unabänderlichkeit. Leicht angestoßen, vielleicht auch durch einen kräftigen Windstoß, durch Zugluft würden die Kugeln auf der glatten Fläche geräuschlos in eine andere Position des begrenzten gläsernen Raums rollen, ein anderes, ein verändertes Bild würde sichtbar.

 

K l e i n e r   A n h a n g:

 

Ich gab dieser Installation einen zweiten, englischen Titel : b r i s t l e  s p h e r e s, da das englische Wort sphere = Kugel dem altgriech. sphaira und dem lat. sphaera sehr nah ist. Interessant für mich war, dass beide Worte Kugel bedeuten, auch Hülle, Sphärenkugel und Himmelskugel. Im Altertum wurde das Himmelsgewölbe als riesige Hohlkugel gedacht. Und in der klassischen Mythologie ist die Sphärenkugel das Attribut des Titanen Atlas, der das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern trägt.

 

Kerstin Krone Bayer im Mai 2022